Das Christentum lehnt die Selbsttötung prinzipiell ab, ebenso wie Islam, Judentum und Buddhismus. Der Suizid galt im Christentum lange Zeit als schwere Sünde. „Selbstmörder“ wurden bis ins 20. Jahrhundert nicht in „geweihter Erde“ bestattet. In der Regel wurden keine Exequien gefeiert. Dahinter stand eine von Augustinus im 5. Jahrhundert und von Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert geprägte moraltheologische Sicht: Die Achtung vor dem hohen Gut des von Gott geschenkten Lebens qualifizierte die Selbsttötung als schwere Schuld. Es ist aber wichtig zu wissen, dass dogmatisch die katholische Kirche nie eine Verdammnis gelehrt hat, z. B. waren „stille Messen“ jederzeit möglich.
Nicht zuletzt durch human- und medizinwissenschaftliche Erkenntnisse ist die Sichtweise heute geweitet. Der „Selbstmord“ kommt im neuen katholischen Kirchenrecht von 1983 (Codex Iuris Canonici, CIC) nicht mehr vor. Damit trägt das Kirchenrecht auch der mehrperspektivischen Erkenntnis Rechnung, dass die suizidale Handlung ein individuelles, höchst komplexes Phänomen darstellt. Anthropologische, kulturelle, neuromedizinische und psychiatrische Perspektiven sind zu berücksichtigen. Folglich ist eine monokausale moraltheologische Bewertung des Suizids schwierig. Schon die Begrifflichkeiten sind zu hinterfragen: „Selbstmord“ verbietet sich in seiner diskriminierenden Wertung. „Freitod“ ist nach heutigen Erkenntnissen ebenfalls problematisch: Wann ist die Entscheidung wirklich frei? Auch die neutralen Formulierungen „Suizid“ und „Selbsttötung“ werden dem je individuellen komplexen Erleben oft nicht gerecht, z.B. im religiösen Kontext können die Grenzen schnell verschwimmen. Es gibt den Märtyrer, der den Ehrentod stirbt, bevor er seine Religion verrät. Der neue Weltkatechismus der katholischen Kirche betont, dass die Kirche verpflichtet ist, für jeden Suizidenten zu beten, als Ausdruck der Hoffnung und des Glaubens, dass Gott in seiner unendlichen Gnade Wege findet, den Menschen zu retten.
Die angemessene Begleitung suizidaler Menschen ist Bestandteil der Psychiatrie-Seelsorge-Ausbildung. Sie erfolgt im Horizont aktueller humanwissenschaftlicher und medizinisch-psychiatrischer Erkenntnisse. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Suizidprävention durch Enttabuisierung. Der Suizid muss sprachfähig werden! Eine empathische, komplementäre Haltung des Seelsorgers ist wesentlich. Damit ist gemeint, dass der Seelsorger den oftmals stummen Schreien suizidaler Menschen – „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr“ – inneren Raum schenkt. Eine nicht verurteilende, nicht moralisierende Begleitung hilft, diesen Begegnungsraum zu schaffen. Hier kann es möglich werden, dass suizidgefährdete Menschen zu ihrem Vorhaben auf Distanz kommen, denn typisch für die Suizidgefährdung ist die Fixierung auf den Suizidgedanken (Tunnelblick). Die Vertrauen schenkende Begleitung schafft Raum, diese Fixierung zu lösen, um gemeinsam nach neuen Lebensmöglichkeiten zu suchen. Oft helfen hier prägnante Bilder, Gleichnisse, Metaphern.
Ein Beispiel: Ein Psychiatrie-Patient, Betreiber einer Baumschule, macht in der Verzweiflung seiner Lebenskatastrophen Gott für sein Elend verantwortlich. Er habe gelernt, dass Gott die liebende und heilende Lebenssonne sei. Ihm verweigere sich Gott, und alles habe keinen Sinn mehr! Trotz unendlich mühsamer Versuche, durch religiöse Übungen die Gnade Gottes zu finden, versinkt er immer mehr in einer suizidalen Depression. Hier half das Bild des Baumes, dem die Sonne nicht nutzen kann, wenn seine Wurzeln krank sind. Der Mann erkennt, dass seine Probleme in einer missbrauchsbehafteten Kindheit wurzeln. Er muss nicht die Sonne beschwören, sondern an den Wurzeln ansetzen. Dieses für ihn anschauliche Bild hilft ihm, in einem geduldigen Seelsorgeprozess neue Unterstützungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten anzunehmen und mitzugestalten. So tritt schrittweise die Suizidfixierung als vermeintlich letztmögliche Option in den Hintergrund. Dennoch weiß der Seelsorger, dass unter Umständen ein Suizid passieren kann.
Das innere Zulassen der Möglichkeit, dass er passiert, schafft erst den Freiraum für eine heilsame Seelsorge. Dies klingt paradox, aber nur eine loslassende, vertrauende Atmosphäre schafft die Voraussetzungen, sich von zerstörerischen Fixierungen zu lösen.
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