Dezember 2002
Von Franz Kafka stammt der Satz: „Der Mensch kann nicht leben ohne ein dauerndes Vertrauen zu etwas Unzerstörbarem in sich.“ Dieses so beschriebene Daseinsvertrauen bricht aber oftmals in der Erschütterung einer psychischen Krankheit zusammen. Erkrankung in diesem Sinne wird von dem betroffenen Menschen als etwas Totales erlebt, das ihn in seiner Existenz unbedingt und absolut betrifft. Entsprechend ist er auch in seinem ganzen Menschsein gefordert in der Bewältigung seiner psychiatrischen Akutkrise und darüber hinaus in der Integration und Annahme seiner chronischen, psychischen Krankheit. Hier brechen Fragen nach dem Grund des Daseins auf: Was trägt mein Leben? Worauf darf ich dennoch hoffen? Wo und wie finde ich neue Verankerung? In einer solchen Krisensituation bietet die Psychiatrieseelsorge in den Rheinischen Klinken Köln vorsichtig und zurückhaltend ihre Dienste an. In dieser Arbeit nehme ich wahr, dass nicht nur christlich sozialisierte Menschen nach religiösen Sinndeutungen und Symbolhandlungen suchen. Insofern stimme ich Günther Klosinski zu: „Je bedrohlicher, je existentieller Lebenskrisen erlebt werden, desto häufiger und elementarer sind sie gekoppelt an die religiöse Dimension.“ (Kerbe 4/98; Fachzeitschrift der Sozialpsychiatrie, 70033 Stuttgart)
Seelsorge auch nach dem Akutaufenthalt in der Klinik Mit der seit April 99 neu eröffneten Einrichtung Seelsorge & Begegnung besteht nun die Möglichkeit, chronisch psychisch kranke Menschen auch nach dem Akutaufenthalt in der Klinik kontinuierlich seelsorglich weiter zu begleiten. Von montags bis donnerstags sind Sprechzeiten für Seelsorgegespräche. Sehr bewusst steht im Namen der neuen Einrichtung neben dem Terminus Seelsorge auch Begegnung. Mit dieser Bezeichnung soll Normalität und Alltäglichkeit signalisiert werden. Denn über das persönliche Seelsorgegespräch hinaus trifft man sich hier auch zu gemeinsamem Tun. So wird dem allgemeinen menschlichen Grundbedürfnis nach Ansprache, Aussprache und Begegnung Rechnung getragen. Das Seelsorgekonzept wurde entwickelt und wird getragen von den Klinikseelsorgern des psychiatrischen Krankenhauses der Rheinischen Kliniken Köln. Seelsorge & Begegnung versteht sich weder als therapeutisches Interventionssetting, erst recht nicht als klinisches Angebot, noch als Maßnahme sozialer Arbeit. Mit dem religiösen Profil der Veranstaltungen ist ein klares und eindeutiges Unterscheidungsmerkmal sowie eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Angeboten der Kontaktund Beratungsstellen gegeben.
An einem Beispiel des vielfältigen Angebotes möchte ich dies verdeutlichen:
BIBEL-teilen, LEBEN-teilen, BROT-teilen als ein Beispiel für seelsorgliche Begegnung. Eine Gruppe von 12 Personen, in der Altersspanne von 28 – 45 Jahren, trifft sich in regelmäßigen Abständen immer dienstags von 16.30 – 18.00 Uhr zu einem gegenseitig vereinbarten und vertrauten Ritual, das sich in einer festgelegten Reihenfolge an verschiedenen Örtlichkeiten unserer Einrichtung vollzieht.
1.Schritt: Ankommen und begrüßen in der Kaffee-Ecke
2.Schritt: Meditatives, schweigendes Schreiten im Gruppenraum (bewusst spüren und wahrnehmen, dass wir festen Boden unter den Füßen haben, der uns trägt)
3.Schritt: Schweigend den Kapellenraum betreten und Platz nehmen im Stuhlkreis (bewusst und ruhig ankommen)
4.Schritt: nach einem Gebet wird eine biblische Perikope vorgelesen. Die Teilnehmer sind jetzt eingeladen, aufmerksam in sich hinein zu hören und darauf zu achten, was die Geschichte in ihnen ganz persönlich anklingen lässt
5.Schritt: Wir teilen uns gegenseitig mit, was die Geschichte in uns auslöst (Erinnerungen, Fragen, Betroffenheit, Freude, Wut….) Hier bin ich als Pfarrer, wie jeder andere Teilnehmer, gefordert, mich persönlich einzubringen. Es ist faszinierend, immer wieder neu zu erleben, wie biblische Geschichten persönliche Lebensgeschichten hier und jetzt frei setzen und diese miteinander in Verbindung bringen. In dieser Verbindung wird häufig beglückend eine Rückbindung unseres gemeinsam tragenden religiösen Grundes erlebt. So wird dieser Schritt auch sehr bewusst mit dem Vater-unser-Gebet beendet, welches zugleich öffnet und vorbereitet für das gemeinsame Brotteilen.
6.Schritt: Ein Teilnehmer bricht ein rundes Fladenbrot, das in der Mitte des Stuhlkreises liegt. Ein jeder reicht seinem Nachbarn ein Stück des gebrochenen Brotes. Bei meditativer Musik wird nun schweigend geteilt und symbolisch verinnerlicht, was vorher schon in Worten mitgeteilt wurde. Jedesmal neu wird hier die verbindende Kraft der ursymbolischen Handlung des Brotbrechens erfahrbar.
7. Schritt: Nachdem das Dank und Segensgebet gesprochen ist, verlassen die Teilnehmer schweigend den Kapellenraum.
Behinderung & Pastoral / Aus den Fachbereichen der Arbeitsstelle, Diözesen und Verbände _ 34
Im Gruppenraum treffen wir uns nun an einem runden Tisch, der mit einem frischen Blumenstrauß dekoriert ist. Mit Traubensaft und Brot klingt im gemütlichen Beisammensein unsere Begegnung aus. In dieser Weise gibt es vielfältige Angebote gemeinschaftlicher Begegnung, in denen dem religiösen Erleben und dem religiösen Vollzug Raum gegeben wird: regelmäßige Gottesdienstangebote, Mandala malen, liturgischer Tanz, religiöse Gesprächskreise, Einkehrtage, Oasentage. Dieses vielfältige, religiöse Angebot ist von Form und Inhalt her auf die besondere Lebenssituation chronisch psychisch kranker Menschen hin orientiert. Somit ist Seelsorge & Begegnung im sozialpsychiatrischen Netz der Stadt Köln der explizite Ort, an dem Glauben gelebt, mitgeteilt und hinterfragt wird. Dies ist für die betroffenen Menschen insofern wichtig, weil im psychiatrischen und sozialpsychiatrischen Verbundsystem Glaube und Religion eher tabuisiert sind.
Dialogangebot für professionelle Psychiatrieberufe Nicht zuletzt aus diesem Grund will Seelsorge & Begegnung für die religiösen Fragestellungen im Kontext von Psychiatrie auch Dialogforum für professionelle Psychiatrieberufe und für Interessierte sein. So haben wir bisher in drei öffentlichen Veranstaltungen mit erstklassigen Referenten uns folgenden Themen gewidmet: „Dunkle Gottesbilder“ ( Prof. Dr. Jaschke) Einerseits wurden die schwerwiegenden seelischen Folgen solcher dunklen Gottesbilder angesprochen, andererseits, und da lag der Schwerpunkt dieser Abendveranstaltung, geht es um heilsame Wege der Befreiung. „Religiosität im Erfahrungsbereich der Psychiatrie ein Tabu?“ (Dr. Bernward Büchler) Als niedergelassener Psychiater, Psychoanalytiker und Theologe setzt sich Bernward Büchler seit vielen Jahren mit dem konflikthaften Verhältnis von Psychiatrie und Religion auseinander. „Psychische Störungen in der Sicht der transpersonalen Psychologie und Psychotherapie“ (Frau Prof. Dr. Edith Zundel) Die Krankheitslehre der transpersonalen Psychologie reicht von Psychosen im konventionellen Sinn bis zur „tiefen Nacht der Seele“ eines Johannes vom Kreuz. Frau Prof. Zundel stellte diesen Zusammenhang dar. Anhand von Fällen haben wir uns im Gespräch um eine vertiefte Sicht von „spirituellen Krisen“ bemüht. Von Zeit zu Zeit sollen kulturelle Veranstaltungen integrative Begegnungen fördern und tabuisierte Ausgrenzungen aufbrechen. So fand ein Kammerkonzert mit Musik von Robert Schumann, Gaetano Donizetti und Peter Tschaikowsky statt. Dieses Konzert wurde untermalt mit Lesungen zu Lebensgeschichten der Komponisten, deren Leben ja auch durch psychische Krankheit geprägt war. Abschließend soll festgehalten werden, dass das öffentliche Interesse an diesen Veranstaltungen unsere Erwartungen übertroffen hat. Die Vortragsabende wurden jeweils von 40 bis maximal 70 Interessierten besucht. Beim Kammerkonzert waren über 100 Menschen anwesend.
Seelsorge & Begegnung ist eine Einrichtung in Trägerschaft des Stadtdekanates Köln. Bürozeiten: montagsfreitags von 10.00 12.00 Uhr Seelsorgliche Sprechzeit: montagsdonnerstags nachmittags; nach vorheriger Anmeldung zu den Bürozeiten. Anschrift: Loreleystraße 7, 50677 Köln, Tel. 0221/37 663 27, Fax 0221/37 663 39 www.seelsorge-und-begegnung.de
* Der Autor ist Fachreferent der Arbeitsstelle
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