Ein Brückenmodell der Seelsorge im Erzbistum Köln zwischen katholischen Wohnheimen und ihren Pfarrgemeinden
Juni 2004
Um es gleich vorwegzunehmen: Letztlich ist dieses Konzept die Frucht einer langjährigen vertrauensvollen, wertschätzenden und im beruflichen Alltag bewährten Kooperation zwischen dem Diözesan-Caritasverband (DiCV) Köln – und seinen Mitgliedseinrichtungen – und dem Referat Behindertenseelsorge des Generalvikariates der Erzdiözese Köln.
Angestoßen durch die Leitbild- und Qualitätssicherungsprozesse der diözesanen Wohneinrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung und vor allem durch eine bereits bewährte und sehr geschätzte Seelsorgearbeit in einzelnen Einrichtungen erwuchs der Wunsch und die Einsicht in die Notwendigkeit – hier insbesondere vom Referat Behindertenhilfe des DiCV Köln – ein Modell von Seelsorge zu entwickeln, das verbindlich und strukturell (kirchenrechtlich und arbeitsrechtlich) gesichert ist.
Das hier beschriebene Modell fand am Ende des Planungsprozesses die Zustimmung sowohl von den karitativen Trägern der Wohneinrichtungen des Erzbischöflichen Generalvikars und des Erzbischofs selbst. Dem Modell liegt folgende kirchen- und arbeitsrechtliche Vereinbarung zugrunde:
– Die jeweiligen Träger von Wohneinrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung benennen geeignete Kandidaten/innen, die neben ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiter, Heilerziehungspfleger… motiviert und engagiert sind, Seelsorgeaufgaben in ihrer Einrichtung vorzunehmen. – Diese Kandidaten/innen werden in einem vierwöchigen, berufsbegleitenden Curriculum für diese pastorale Beauftragung ausgebildet. – Verantwortlich für Inhalt und Durchführung des Curriculums ist das Referat Behindertenseelsorge in Kooperation mit der Erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule. (Beginn der Ausbildung im September 2004, Ende der Ausbildung im Herbst 2006.) – Nach Beendigung der Ausbildung werden die Kandidaten/innen kirchenamtlich vom Erzbischöflichen Generalvikar beauftragt mit dem Titel: „Seelsorgliche Begleiterin und Begleiter“ (Kurzformel: Seelsorgliche Begleiter) in der Pastoral mit Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung. Die karitativen Träger verpflichten sich, dass diesem kirchlichen Seelsorgeauftrag eine entsprechende arbeitsrechtlich verbindliche Beauftragung in ihren jeweiligen Einrichtungen erfolgt und hierfür entsprechende Arbeitsund Zeitkapazitäten zur Verfügung stellen. – Das Referat Behindertenseelsorge ist verantwortlich dafür, dass diese Seelsorglichen Begleiter eine Rückbindung in die jeweilige Pfarrgemeinde bzw. Dekanat oder kirchliche Region erfahren. – Dem jeweiligen Seelsorglichen Begleiter steht ein hauptberuflicher Seelsorger in der Behindertenpastoral gegenüber, z. B. Priester, Diakon, Pastoral- oder Gemeindereferent/ in, die entsprechend in die Pfarrgemeinde bzw. Pfarrverband, Dekanat rückgebunden sind (struktureller Aspekt des Brückenmodells). – Beide Berufsgruppen werden gemeinsam fachlich begleitet und weitergebildet vom Referat Behindertenseelsorge im Erzbistum Köln. – Die karitativen Träger verpflichten sich, die Seelsorglichen Begleiter jährlich für 3 Vormittage und für eine zweitägige Blockveranstaltung zur Weiterbildung und zum kollegialen Austausch mit den hauptamtlichen Behindertenseelsorgern freizustellen (fachlicher Aspekt des Brückenmodells).
Auf der Grundlage dieser Vereinbarung ergibt sich folgende Verankerung der Pastoral mit Menschen mit geistiger Behinderung im Erzbistum Köln:In sieben von siebzehn Stadt- und Kreisdekanaten gibt es dreizehn katholische Wohneinrichtungen, deren Träger Mitglieder des DiCV Köln sind. Voraussichtlich werden ab Herbst 2006 (Ende des Curriculums) neun Mitarbeiter/innen dieser Träger in ihren jeweiligen Einrichtungen in der Pastoral mit Menschen mit Behinderung tätig sein in Zusammenarbeit mit den anderen hauptberuflich Pastoraltätigen vor Ort.
Der hier beschriebene rechtliche und verbindliche Rahmen ist formale Voraussetzung für eine stabile Seelsorgestruktur. Darüber hinaus ist aber entscheidend, an welchem personalen und inhaltlichen Paradigma sich ein Seelsorgekonzept orientiert. Dieses ist dann wiederum Leitlinie für ein entsprechendes Ausbildungscurriculum.
Menschen mit einer so genannten geistigen Behinderung werden seit Jahrhunderten ihrem Verhalten nach als abweichend beurteilt und bewertet; für sehr viele Menschen bleiben sie unverstanden. Von Kindheit an erzeugt ihre Sprache oder ihr Nichtsprechen eine unausgesprochene Angst. Die Beeinträchtigung der Kognition mit ihren nur bedingt fassbaren Auswirkungen auf das Denken, Fühlen und Handeln wirft Fragen nach dem Sinn und Wert menschlichen Lebens auf; sehr viele Menschen finden hier keine Antwort auf die Sinnfrage, oder sie werden durch Weltanschauungen und Menschenbilder so beeinflusst, dass sie von einem lebensunwerten Leben sprechen.
Durch die Fortbildungsmaßnahme sollen den Seelsorglichen Begleitern die Perspektiven zur Sinnfrage eröffnet werden; dabei soll auf der Grundlage der christlichen Überlieferung von einem offenen Menschenbild gesprochen werden, das uns den Menschen in seiner von Gott verliehenen Würde und Partnerschaftlichkeit entdecken lässt, in seinem Reichtum an Menschlichkeit, unabhängig von Krankheit, Behinderung und Tod, in seinem großen Rätsel und Geheimnis, das uns wach hält, miteinander Leben zu wagen und Leben reich zu gestalten. Es geht um die wahrnehmbaren und erkennbaren Wege in der Kontaktaufnahme und Beziehung, in einer gemeinsam gesuchten Sprache und Kommunikation und partnerbezogenen Handlungsweise.
In kleinen Lernschritten können gemeinsam Lebensformen einer partnerschaftlichen Seelsorge gesucht werden, auf deren Grundlage Hoffnung besteht, geistige und unentdeckte innere Kräfte der menschlichen Seele zu wecken, die unabhängig von der Sinneswahrnehmung im Inneren ruhen.
Ausgangspunkt seelsorglichen Handels ist die individuelle Lebenssituation der Menschen in ihrer gegenwärtigen Lebensphase, die im Kontext des jeweiligen Lebensraumes und des Kirchenjahres erlebt und gestaltet wird.
Durch eine mehrperspektivische Annäherung an lebensbedeutsame Fragestellungen sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kurses in drei Schritten an seelsorgliche Aufgaben herangeführt und zu deren Bewältigung qualifiziert werden, indem sie lernen, die Bedürfnisse und Lebenssituation der Menschen wahrzunehmen, zu erschließen und (mit)zugestalten. (Vgl. Lenzen 1996 Heilpädagogische Explikationen zur „Konviktion“. In: Lenzen, H. (Hrsg.): Systematische Heilpädagogik in Ansätzen. Aachen: Main-Verlag. 54–83.)
Seelsorge verantwortlich zu gestalten, ist nur möglich, wenn der Seelsorgliche Begleiter von Religion und Glauben betroffen ist und diese persönliche Betroffenheit in seine tägliche Arbeit einbringt. Das setzt ein ständiges Bemühen um den eigenen Glauben voraus. Der Seelsorgliche Begleiter soll bereit sein, die Sache des Evangeliums zu seiner eigenen zu machen und sie mit seinen Möglichkeiten glaubwürdig zu bezeugen. Ein Seelsorger soll bereit sein, die Verantwortung der Kirche für die Inhalte der Seelsorge mitzutragen. Der religiös wache und gläubige Seelsorgliche Begleiter sucht in der Kirche die Kommunikationsbasis für sein Glaubensleben. Dort kann er spirituelle Impulse erhalten und so vor der Verkümmerung seines Glaubens bewahrt werden.
Besondere Bedeutung kommt der Spiritualität des Seelsorglichen Begleiters zu, da echte Spiritualität auf die Frage nach der Einheit von Glaubenslehre und Glaubensleben verweist und damit die Grundspannung jeder christlichen Existenz umschreibt. Gegenüber lehrhaften Ausprägungen des Glaubens meint Spiritualität die existentielle Seite, den persönlichen Bezug des einzelnen Christen zu den Gehalten des Glaubens. Dabei sollte Spiritualität nicht als bloße „Innerlichkeit“ verstanden werden. Obwohl das innere Leben entscheidend dazugehört, gestalten auch die konkrete Lebenspraxis und das Engagement das Ganze der Spiritualität mit. Der Seelsorgliche Begleiter wird sich in jedem Fall am Wirken und an der Gesinnung Jesu, seiner „Spiritualität“ ausrichten. Jesus begegnet den Menschen als Fragender und damit als „Lernender“ und das auf vielgestaltige Weise.
Neben der Orientierung an der Person Jesu und seinem Verhalten fordert Spiritualität das Gebet. Jesus gewinnt aus dem Gebet notwendige Orientierung, Vertrauen und Mut für seine Lehre und seine Verkündigung. Gerade als um ein Leben als Christ bemühter bzw. als ein sein Christsein reflektierender Mensch wird der seelsorgliche Begleiter sowohl mit seiner (religiösen) Sozialisation als auch mit seiner gegenwärtigen Lebenssituation konfrontiert, die seinen persönlichen Glauben und sein Selbstbild als seelsorglicher Begleiter mitbestimmen und damit in seine Arbeit einfließen.
Der seelsorgliche Begleiter als Dialogpartner Seelsorglicher Begleiter für Menschen mit Behinderung sein heißt: miteinander auf dem Weg des Glaubens sein. Das Zweite Vatikanische Konzil hat das Bild vom Volk Gottes, das miteinander auf dem Weg ist, neu betont. Man darf dieses Bild auch auf die Seelsorge anwenden: Seelsorgliche Begleiter und Menschen mit Behinderung sind miteinander ein Teil des Volkes Gottes, das auf dem Weg durch das Leben ist. Das impliziert zweierlei: zum einen eine Gemeinschaft im Glauben, die von einer wechselseitigen Bereicherung und Ergänzung geprägt ist. Nicht allein der seelsorgliche Begleiter mit seinem Vorsprung an Lebens- und Glaubenserfahrungen ist der Gebende, oft genug empfängt er von den Menschen mit Behinderung neue Impulse für sein eigenes Leben und seinen Glauben. Zum anderen impliziert das Bild vom Volk Gottes auf seinem Weg, dass niemand, auch der Seelsorgliche Begleiter nicht, im Glauben fertig ist, jeder ist noch auf dem Weg und noch lange nicht am Ziel. Wenn der Seelsorgliche Begleiter sich das bewusst macht, erhält er eine spürbare Entlastung für seinen Auftrag: Er braucht nicht alles schaffen zu wollen. Er geht vielmehr ein Wegstück zusammen mit den Menschen mit Behinderung, aber letztlich bestimmen diese selber über die Richtung ihres Weges (vgl. Frisch 1992: Leitfaden Fachdidaktik. Düsseldorf: Patmos). Seelsorglicher Begleiter für Menschen mit Behinderung sein heißt: Glauben und Leben in einem ständigen Prozess der Korrelation mit den Menschen mit Behinderung zu vollziehen.
Gottes- und Glaubenserfahrungen geschehen nicht neben oder hinter allgemein menschlichen Erfahrungen, sondern in ihnen als ihr innerster Kern. Wer von Gott sprechen will, muss vom Menschen sprechen. Für den seelsorglichen Begleiter bedeutet das, dass seine Impulse unlösbar verbunden sein müssen mit den Erfahrungen heutigen Lebens, mit der eigenen Lebenswirklichkeit und dem Leben der Menschen mit Behinderung. Der Seelsorger muss selber immer mehr Mensch werden, um so den Menschen mit Behinderung bei ihrem Prozess der Menschwerdung zur Seite zu stehen.
Seelsorglicher Begleiter für Menschen mit Behinderung heißt: Identifikationsfigur sein Damit Menschen mit Behinderung den Seelsorglichen Begleiter überhaupt als Identifikationsfigur wahrnehmen und ihm mit Aufmerksamkeit begegnen und seine Einstellung als bedeutsam empfinden können, muss er bei ihnen durch Beliebtheit (Freundlichkeit, Zuwendung, Ansehen und offensichtlichen Erlebnisreichtum) Interesse geweckt haben. Anders ausgedrückt: Ein Seelsorglicher Begleiter kann und soll gerade in der ersten Begegnung nicht nur durch seine religiöse Einstellung beeindrucken, sondern muss allgemein als Mensch geschätzt werden. Die Beliebtheit wird vor allem durch Zuwendung, beim Jugendlichen eher durch verständnisvolle Gesprächsbereitschaft und gemeinsame Erlebnisse, gewährleistet.
Wertvorstellungen müssen im gelebten, gestalteten Leben, in der Einstellung zum anderen und zur Welt deutlich werden, um für andere fruchtbar werden zu können. Der seelsorgliche Begleiter ist somit auch Mittler durch seine Persönlichkeit (Ebner 1984, Elementarisierung im Religionsunterricht an der Schule für Lernbehinderte – Dargestellt am Thema Leid und seine Bewältigung aus christlichem Glauben. Dissertation: Würzburg).
Neben dieser allgemeinen Dimensionen der Identifikationsmöglichkeit mit dem Seelsorglichen Begleiter tritt die des Zeugen des Glaubens hinzu, wobei hier Zeuge sein heißt, Auskunft geben können über den Glauben, den man vertritt, entsprechend der Aussage des 1. Petrusbriefes: „Seid stets bereit, einem jeden Rechenschaft zu geben über die Hoffnung, die euch beseelt“. Somit heißt Zeuge sein, von einer Wirklichkeit zu sprechen, mit der man persönliche Erfahrungen gemacht hat. Die Menschen mit geistiger Behinderung sind besonders sensibel dafür, ob geäußerte Einstellungen mit der inneren Überzeugung einer Person übereinstimmen. Für den Seelsorglichen Begleiter ist das eine Herausforderung. Das bedeutet zugleich, dass er auch zu eigenen religiösen Unsicherheiten und Anfragen stehen kann. Soweit Menschen mit geistiger Behinderung in der Lage sind, Kritik zu verstehen und Bedenken als Form kritischer Loyalität aus Liebe zur Kirche zu begreifen, macht das die Seelsorge glaubwürdiger und die Glaubensüberzeugung des Seelsorglichen Begleiters nachahmenswert (vgl. Exeler 1982, Der Religionslehrer als Zeuge. In: Katechetische Blätter 106, 3–14.).
„Seelsorgliche Begleiter“ als Mitgestalter der Kultur in einer Wohneinrichtung Kultur meint die vielfältigen Faktoren, die den Lebensraum Wohneinrichtung mitbestimmen. Zum einen sind viele Faktoren für die Gestaltung des Alltags zwar vorgegeben und nicht veränderbar; zum anderen können oder müssen darüber hinaus viele Elemente selbst geschaffen und gestaltet werden. Ein wesentlicher Aspekt der Kultur einer Wohneinrichtung ist die Atmosphäre, von der das Leben in besonderem Maße geprägt wird. Diese wird vor allem von den sozialen Umgangsformen und von den über die alltäglichen Verrichtungen hinausgehenden Angeboten mitbestimmt, die zum einen entlastende bzw. kompensatorische Funktion haben können oder Möglichkeiten der sozialen und kommunikativen Begegnung bieten. Viele dieser Angebote, wie Gesprächskreise, Freizeiten, Einrichtung eines Cafés etc., haben zunächst nicht viel mit Seelsorge zu tun, können aber von ihm ausgehen oder von ihm (mit)getragen werden. Spezifische seelsorgerische Angebote bilden Schul- und Klassengottesdienste, religiöse Freizeiten, gemeinsame Aktionen mit Pfarrgemeinden oder kirchlichen Gruppen, gemeinsame Sakramentenvorbereitung und deren Empfang in den Gemeinden, Gestaltung christlicher Feste im Jahreskreis, individuelle Begleitung in besonderen Lebenssituationen, eine anthropologisch begründete und pastoraltheologisch fundierte Zusammenarbeit mit den Eltern etc. Seelsorgliche Begleiter als katechetisch und liturgisch gebildete Person
Wesentliche Bezugspunkte der Seelsorge bilden die Katechese und die Liturgie. Persönliche Überzeugung und glaubwürdiges Zeugnis, so vordringlich sie sind, reichen aber nicht hin. Sie müssen zugleich von Fachkompetenz getragen sein.
So gilt, dass für eine elementare Seelsorge theologische Grundkenntnisse besonders bedeutsam sind, um das Elementare eines Gegenstandes in den Mittelpunkt zu stellen und nach seiner Relevanz für die Erfahrungen der Bewohnerinnen und Bewohner zu fragen. D. h., wenn der Seelsorgliche Begleiter seine Adressaten ernst nimmt, darf er seine Katechese weder darauf beschränken, nur einfach transportable Inhalte zu vermitteln, noch eine selektive bzw. unvollständige oder an den Strömungen des Zeitgeistes orientierte Glaubenslehre zur Grundlage seiner Arbeit zu machen. Lässt sich der Seelsorgliche Begleiter auf diesen Anspruch ein, so wird er feststellen, dass das Elementare nicht einfach etwas „Gegebenes“, sondern etwas „Umstrittenes“ und „Aufgegebenes“ ist, das in einem Suchprozess von ihm durchlebt und ermittelt werden muss (vgl. Beuers, Büsch, Straub 2003, Wie Licht in der Nacht – Elementarisierung biblischer Texte für Menschen mit und ohne Behinderung. Kevelaer, Butzon & Bercker und Heinen 1989, Elementarisierung als Forderung an die Religionsdidaktik mit geistig behinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Aachen, Main-Verlag).
Seelsorgliche Begleiter als Vermittler zwischen Wohneinrichtung und Gemeinde
Die Einbindung und Verankerung der Seelsorge mit Menschen mit geistiger Behinderung in die Ortsgemeinde ist oft nicht frei von Widersprüchen und Konfliktpunkten, die letztlich vom seelsorgliche Begleiter mit gelöst, mitunter auch ausgehalten werden müssen. Reibungen entstehen schnell in Bereichen, in denen es Berührungspunkte zwischen Wohneinrichtung und Pfarrgemeinde gibt: bei Gottesdiensten, Kontaktstunden in der Wohneinrichtung, in der Sakramentenvorbereitung oder Sakramentenspendung und bei anderen Gelegenheiten. Nicht selten gestaltet sich solches Zusammenwirken als konfliktträchtig, wenn Vorstellungen darüber auseinander klaffen, was Seelsorge mit Menschen mit geistiger Behinderung erreichen soll oder kann. Der seelsorgliche Begleiter wird dann nicht selten zum gesuchten und beachteten Gesprächspartner, dem wichtige und vom Vertrauen bestimmte Aufgaben übertragen werden.
Zudem fühlen sich viele Gemeindemitglieder unsicher im Umgang mit Menschen mit Behinderung und können nur schwer einschätzen, welche Möglichkeiten, Fähigkeiten und Grenzen die Menschen haben. Auch hier geht es in Kooperation mit den hauptamtlichen Seelsorgern in der Pastoral für Menschen mit Behinderung um Vermittlung zwischen den bestehenden Gruppen (vgl. Heinen/Lamers 2000, Heilpädagogische Kompetenzen und professionelles Selbstverständnis in der Begegnung mit Menschen mit geistiger Behinderung. In: Heinen, N./Lamers, W. (Hrsg.): Geistigbehindertenpädagogik als Begegnung. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben. 53–65).
Die Aufgaben beziehen sich in besonderer Weise auf – Übernahme einer Brückenfunktion zwischen Seelsorge in der Wohneinrichtung und der gemeindlichen Seelsorge mit behinderten Menschen in Abstimmung mit den Seelsorgeteams der Gemeinde/Region. Notwendig ist hier die enge Kooperation mit dem beauftragten hauptamtlichen Behindertenseelsorger. – Schaffung und Gestaltung einer am Kirchenjahr orientierten Atmosphäre in der Wohneinrichtung – Gestaltung von Wortgottesdiensten: Vollzug elementarer adressatenbezogener liturgischer Rituale und Vermittlung biblisch elementarer Bilder – Religiöse Begleitung in Alltagsvollzügen – Begleitung in lebensgeschichtlichen Grenzsituationen, hier insbesondere Krankheit, Sterben, Tod, Trauer. Diese verstehen sich als Angebote, die sich sowohl an einzelne Personen als auch Kleingruppen oder die gesamte Wohnhausgemeinschaft richten.
Seelsorgliche Begleitung will den Menschen eine phasengerechte Lebenshilfe geben in – der Weiterentwicklung ihres Lebenszutrauens – der Gewinnung oder Erhaltung ihrer Lebensfertigkeiten – der Suche nach Lebensorientierung – der Ausgestaltung von Lebenshaltungen Es geht in hohem Maße um die partnerschaftliche Beziehung zu Anderen, um das Einfühlen in die gegenwärtige Lebenssituation und Erlebnisweise der anderen Person. Heinrich Lenzen hat diese Fähigkeit in der Heilpädagogik als Konviktion beschrieben, als eine Fähigkeit, die im Sinne des Fremdverstehens die Aspekte Annähern, Einfühlen, Verstehen und Akzeptieren umfasst, aber auch ganz unspektakulär meint, ein Stück des Weges mit der oder dem Anderen gehen.
Seelsorgliche Begleitung in katholischen Wohneinrichtungen will dazu beitragen, dass Menschen mit geistiger Behinderung einen Lebensraum finden, in dem ihnen eine am christlichen Glauben orientierte Lebensgestaltung möglich ist. Dieser Anspruch ist allerdings nur zu verwirklichen, wenn die Verantwortlichen offen für Innovation im Hinblick auf Fragestellungen und Aufgabenbereiche der Seelsorge im Sinne planvoller Veränderung und Weiterentwicklung und Umsetzung Seelsorgerlicher Konzepte sind. Verantwortung ist immer auf größere soziale Zusammenhänge gerichtet, womit auch seelsorgliches Handeln aus der Verantwortung für das Ganze bestimmt ist.
Seelsorge ist eine inhaltliche Profilierung mit Qualitätsstandards. Jenseits von feierlichen Postulaten auf Hochglanzpapier zum „hohen C“ und zum christlichen Menschenbild vollzieht Caritas mit einer solchermaßen menschenorientierten und lebensfördernden Seelsorge ihr ureigenstes Proprium, die auf einem in Zukunft umkämpften Anbietermarkt im besten Sinne auch ein Marketinginstrument sein kann.
Weitere Informationen sind erhältlich beim: Referat Behindertenseelsorge im Generalvikariat der Erzdiözese Köln, Georgstraße 20, 50676 Köln oder www.behindertenseelsorge. de
* Der Autor ist Fachreferent der Arbeitsstelle ** Der Autor ist Religions- und Sonderpädagoge an der Heilpädagogische Fakultät der Universität Köln
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